„Große Strafrechtsreform“ November 1973
Der 1975 reformierte §144 StGB des im wesentlichen Teil aus dem Jahr 1803 stammenden Gesetzes lautete:
Sechzehntes Hauptstück.
Von der Abtreibung der Leibesfrucht
Abtreibung der eigenen Leibesfrucht
§144. Eine Frauensperson, welche absichtlich was immer für eine Handlung unternimmt, wodurch die Abtreibung ihrer Leibesfrucht verursacht, oder ihre Entbindung auf solche Art, dass das Kind tot zur Welt kommt, bewirkt wird, macht sich eines Verbrechens schuldig.
Strafe.
§145. Ist die Abtreibung versucht, aber nicht erfolgt, so soll die Strafe auf Kerker zwischen sechs Monaten und einem Jahre ausgemessen; die zustande gebrachte Abtreibung mit schwerem Kerker zwischen einem und fünf Jahren bestraft werden.
§146. (St.G.B.1937.) Mitschuldiger dieses Verbrechens ist, wer die Schwangere zur Abtreibung ihrer Leibesfrucht verleitet oder ihr dazu Hilfe leistet, mag es auch nur beim Versuche der Mitwirkung geblieben sein.
Der Mitschuldige ist mit schwerem Kerker zwischen einem und fünf Jahren, wenn er aber gewerbsmäßig zur Abtreibung mitwirkt, zwischen fünf und zehn Jahren zu bestrafen.
Abtreibung einer fremden Leibesfrucht.
§147. Dieses Verbrechens macht sich auch derjenige schuldig, der aus was immer für einer Absicht, wider Wissen und Willen der Mutter, die Abtreibung ihrer Leibesfrucht bewirkt oder zu bewirken versucht.
Strafe.
§148. Ein solcher Verbrecher soll mit schwerem Kerker zwischen einem und fünf Jahren; und wenn zugleich der Mutter durch das Verbrechen Gefahr am Leben oder Nachteil an der Gesundheit zugezogen worden ist, zwischen fünf und zehn Jahren bestraft werden.
Die Fristenregelung – fortschrittliche Errungenschaft der SPÖ-Alleinregierung unter Bruno Kreisky
Anfang der 70er Jahre kam es im Zuge der Diskussion um die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs (Reform des §144 und folgende STGB) erstmals zu personellen Kontakten zwischen linken Intellektuellen und dem jüngeren Flügel der SPÖ-Frauen, die eine Neuorientierung der bis dahin eher traditionell ausgerichteten Frauenorganisation der SPÖ zur Folge hatten.
Vor dem Hintergrund einer immer breiter werdenden neuen Frauenbewegung wurde allmählich feministisches Gedankengut in die sozialistische Frauenorganisation getragen, wodurch vor allem bei den jüngeren Parteifrauen eine Bewusstseinsänderung bewirkt wurde.
Die in der Regierungsvorlage von 1971 vorgesehene Indikationenlösung (Schwangerschaftsabbruch nur bei medizinischer Indikation erlaubt) wurde von den SPÖ-Frauen unterlaufen, und die Fristenlösung (Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten 12 Wochen der Schwangerschaft straffrei) konnte sich nach heftigen Debatten zwischen Parteibasis und Parteispitze, zwischen älterer und jüngerer Generation, in der SPÖ durchsetzen.
Bruno Kreisky dazu:
„Ich weiß zwar, wie man Wahlen gewinnt, ich weiß aber auch, wie man sie verliert, und jetzt bei dieser Abtreibungssache schaut es ganz danach aus.“
1973 (Alleinregierung der SPÖ) stimmte der Nationalrat mit den Stimmen der SPÖ gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ dem Antrag zur Fristenregelung zu. Im Dezember 1973 legte der Bundesrat gegen das neue Strafgesetz ein Veto ein, sodass der Nationalrat im Jänner 1974 einen Beharrungsbeschluss fassen musste.
Nationalratsabgeordnete Anneliese Albrecht hielt am 23. Jänner 1974 eine Rede für die Fristenregelung im Nationalrat. An diesem Tag fasste das Parlament mit den Mehrheitsstimmen der SPÖ den Beharrungsbeschluss für die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs innerhalb der ersten drei Monate, nachdem der Gesetzesbeschluss vom Bundesrat beeinsprucht worden war.
Somit konnte die Fristenregelung (erst) am 1.1.1975 in Kraft treten.
Bruno Kreisky hatte mit seiner Befürchtung, die Fristenregelung sei ein unpopuläres Thema und könnte den Wahlausgang für die SPÖ negativ beeinflussen, nicht Recht behalten: Die SPÖ erlebte 1979 den größten Wahlerfolg ihrer Geschichte und wurde laut Umfragen auch wegen der Einführung der Fristenlösung (wieder)gewählt.
Wahlslogans der SPÖ der 70er Jahre
- Eine Politik für die Frauen
- Glückliche Familien – das wünschen sich die Frauen
- Die Entscheidung liegt bei den Frauen
- Mit den Frauen für ein modernes Österreich
- Es kommt vor allem auf die Frauen an, ob die Regierung ihre Arbeit fortsetzen kann
- Eine Regierung für die Frauen
- Von den Frauen hängt es ab
- Kein Wahlsieg ohne Frauen
- Noch nie ist so viel für die Frauen geschehen
- SPÖ – die Partei für die Frauen
Quelle
Zach, Angelika: Zur Geschichte des österreichischen Staatssekretariates für allgemeine Frauenfragen. Wien 1991