Frauenstimmrechtsbewegung
Noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts war das Wahlrecht ein Privileg der besitzenden Klasse. Der Kampf der ArbeiterInnenbewegung um politische Rechte hatte daher von Anbeginn an auch die Forderung nach dem allgemeinen Wahlrecht beinhaltet. Bereits 1874, am Gründungsparteitag der österreichischen Sozialdemokratie in Neudörfl, wurde die Forderung nach dem allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrecht für alle Staatsbürger (Männer!) ab dem 20. Lebensjahr in das Parteiprogramm aufgenommen.
Im Jahr 1892 war (und blieb) die Sozialdemokratie die einzige Partei, die die Forderung nach dem Frauenstimmrecht in ihr Programm aufnahm.
1893 tagte die erste sozialdemokratische Frauenwahlrechtsversammlung in der Penzinger Au in Wien. Rund 3.000 Frauen nahmen daran teil.
„In Erwägung, dass die Arbeiterinnen unter derselben ökonomischen Unterdrückung zu leiden haben wie die arbeitenden Männer (…)“, forderte die Versammlung „als vornehmstes Kampfmittel das aktive und passive, allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht für alle Vertretungskörper, für alle Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts (…) und erklärt, mit aller Kraft, aller Entschiedenheit und allem Opfermut im begonnenen Kampf mitzustreiten und ihn bis zum endgültigen Siege durchzuführen.“
Auch die bürgerliche Frauenbewegung in Österreich begann sich zu Beginn der 1890er Jahre für das Wahlrecht zu engagieren. Die christlichen und katholischen Frauenorganisationen hingegen sprachen sich bis zum Ende der Monarchie gegen das Frauenstimmrecht aus.
Im Kampf um das Wahlrecht sollte sich allerdings zeigen, dass August Bebel mit seiner Warnung – „Die Frauen dürfen so wenig auf die Hilfe der Männer warten, wie die Arbeiter auf die Hilfe der Bourgeoisie.“ – nicht unrecht gehabt hatte.
1903, auf der 2. Frauenkonferenz der österreichischen Sozialdemokratie, appellierte Therese Schlesinger noch mit Nachdruck an die Solidarität der Genossen:
„Die Konferenz spricht zugleich die Erwartung aus, dass die sozialdemokratischen Männer in höherem Maße als bisher die Frauen in dieser Aufgabe unterstützen und bei jeder Gelegenheit für die rechtliche und politische Gleichstellung der Geschlechter eintreten werden, wie das Programm der sozialdemokratischen Partei in Österreich es von ihnen verlangt und wie sie es wiederholt auf unseren Parteitagen beschlossen haben.“
Mit der ganzen Autorität des Parteivorsitzenden erklärte Victor Adler daraufhin den Delegierten, dass sie erst einmal zurückstehen müssten:
„Es hat niemals eine Sozialdemokratie gegeben, die nicht das Frauenwahlrecht als eine ebenso notwendige Sache angesehen hätte wie das der Männer. (…) Aber es fragt sich, ob die politische Lage reif ist, um einen Feldzug für das Frauenwahlrecht zu unternehmen. Und da sage ich ihnen rundweg, in Ländern wie Österreich, Belgien usw., wo das Männerwahlrecht noch nicht einmal erkämpft ist, wo wir alle Kräfte auf diesen Punkt konzentrieren müssen, wäre es eine politische Torheit, diesen Kampf abzulenken auf einen Punkt, der voraussichtlich erst später zu erreichen sein wird. Von diesem Standpunkt der politischen Taktik muss ich sagen: Wir müssen bei jeder Gelegenheit erklären, dass wir für das Frauenwahlrecht sind, dass wir auch den ersten Schritt auf diesem Gebiet machen wollen, aber dass der letzte Schritt erst dann gemacht werden kann, wenn der erste Schritt gemacht ist, und der ist: die Erkämpfung des Wahlrechtes für die Männer.“
Die Haltung Victor Adlers und das Verständnis, das die österreichischen Genossinnen dafür aufgebracht hatten, stieß auf der 1. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Stuttgart (1907) auf heftige Kritik. Die Mehrheit der Delegierten sprach sich für einen Antrag aus, in dem die sozialistischen Parteien verpflichtet wurden, ihren Prinzipien gemäß nicht erst für das Männerwahlrecht und dann für das Frauenwahlrecht zu kämpfen, sondern für ein allgemeines Wahlrecht, das diesen Namen auch verdient.
1918 bot schließlich die Auflösung der Habsburgermonarchie und die Errichtung einer Republik nach dem Ersten Weltkrieg die Gelegenheit zur Einführung des Frauenstimmrechts. Einige Sozialdemokraten waren noch immer der Meinung, dass die politische Gleichberechtigung für sie einen Rückschlag bedeuten würde, aber ihre Anführer sahen sich dazu verpflichtet, das allgemeine Wahlrecht für beide Geschlechter zur Basis der Wahlordnungen der Republik zu machen. Das Frauenwahlrecht war schließlich seit 1892 im Parteiprogramm verankert, die weiblichen Parteimitglieder drängten auf die Verwirklichung, und ein Rückzug hätte die Sozialdemokratie kurz vor den Wahlen als unglaubwürdig erscheinen lassen.
Somit wurde 1918 das Wahlrecht auch den Frauen zuerkannt: „Anfänglich zum nicht geringen Schrecken der bürgerlichen Abgeordneten, deren Parteien sich bis dahin ohne Ausnahme gegen das Frauenstimmrecht ausgesprochen hatten.“ So die Worte Karl Renners, der 1918 in seinem Entwurf für eine provisorische Verfassung der Republik Deutsch-Österreich diesen Passus dem politischen Gegner „untergejubelt“ hatte.
Bei den Wahlen zur Konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919 und bei den Gemeinderatswahlen am 4. Mai 1919 konnten Frauen erstmals kandidieren beziehungsweise wählen.
Wenn auch (grundsätzliche) Zweifel an der Eignung der Frauen für die Politik immer wieder als Argument gegen politisches Engagement von Frauen herangezogen worden waren und wurden, so lauteten die primären politischen Fragen im Zusammenhang mit der Einführung des Frauenwahlrechtes für alle Parteien:
Wie werden Frauen wählen?
Wer wird vom Frauenstimmrecht profitieren?
Auch musste die Einführung des Frauenstimmrechtes zwangsläufig die Frage nach der Sicherung der männlichen Machtbasis aller Parteien nach sich ziehen. Sie bedeutete auch für die Sozialdemokratische Partei, in Bezug auf die Erhaltung der eigenen patriarchalen Machtbasis innerparteilich kreativ zu werden. Diese Entwicklung kann bis in die Gegenwart verfolgt werden …
Vortrag von Gabriella Hauch (13.6.2018):
„Die Angstträume der Frauenfeinde spiegeln die Wunschträume der Utopisten“. Frauenwahlrecht und die Ambivalenzen der Geschlechterverhältnisse. Teil der Ringvorlesung „100 Jahre Republik Österreich“, Universität Innsbruck. (YouTube-Video)
Einführung des Frauenstimmrechts weltweit
Literatur
– Bandhauer-Schöffmann, Irene: Parteidisziplin. In: ZeitGeschichte, 16. Jg., Heft 11/12. Wien 1989
– Feigl, Susanne: Frau sein in Österreich, Renner-Institut (Hg.), Wien 1987
– Neyer, Gerda: Frauen im österreichischen Parlament: Chancen und Barrieren. In: Good, David F. / Grandner, Margarete / Maynes, Mary Jo (Hg.): Frauen in Österreich. Wien 1993
– Wer wählt gewinnt? 70 Jahre Frauenwahlrecht, hg. von Initiative 70 Jahre Frauenwahlrecht, Brosch., Wien 1989
– Zaar, Birgitta: Frauen und Politik in Österreich, 1890-1934. In: Good, David F. / Grandner, Margarete / Maynes, Mary Jo (Hg.): Frauen in Österreich, Wien 1993
– Hofer, Karin / Wolfgruber, Elisabeth: „Warum werden Frauen nicht gewählt?“ Zur Situation von Frauen in der Kommunalpolitik. Salzburg o.J. (2000)