Anna Altmann, geb. Urbantschky, 1851 bis 1937
Die Genossin aus Polzental in Böhmen: „Wir geigen wieder.“
Anna Altmann stammte aus einem sehr armen Elternhaus und musste bereits mit fünfeinhalb Jahren in einer Fabrik arbeiten.
Ihre Lebensgeschichte und frühe Politisierung beschreibt Anna Altmann in ihrem autobiographischen Text „Aus dem Leben eines Proletarierkindes“, der 1895 in folgendem Buch erschien:
Buch der Jugend: für die Kinder des Proletariats, hg. von Emma Adler. Berlin 1895, S. 186-191
„Ich war damals in Österreich die einzige Agitatorin. Im Jahre 1889 wurde der Parteitag nach Hainfeld einberufen, und auch die Polzentaler Genossen wurden davon in Kenntnis gesetzt, mit der Aufforderung, zu delegieren. Ich wurde als Delegierte gewählt und erstattete nach Wien die Meldung. Die Wiener Genossen schrieben damals, dass sie einen männlichen Delegierten wünschen, die Frauen wären noch nicht so weit. Ich ließ es sein und dachte,
‚wir geigen wieder‘.“
Rednerin anlässlich der Gründung des Arbeiterinnen-Bildungsvereins in Wien
„Das geschah bald. Ein Jahr verflog schnell und im Juni 1890, ich war von einer Versammlung aus Reichenberg heimgekehrt, erhielt ich eine Einladung von Wien, ich solle am 29. Juni bei der konstituierenden Versammlung des Arbeiterinnenvereines sprechen. Ich sagte zu. (…) Die Versammlung war sehr gut besucht, es war auch eine ganze Menge Doktoren und Berichterstatter der verschiedenen Wiener Blätter anwesend, welche mich neugierig beguckten. Auch Genosse Dr. Adler sprach in der Versammlung. Nach mehrtägigem Aufenthalt, welchen mir die Genossen so angenehm wie möglich gemacht hatten, kehrte ich in mein Polzental zurück; das erste Samenkorn für eine zukünftige Arbeiterinnenbewegung war gelegt und auch im Polzental wurde es lebhafter.
(…) In Bensen wurde es nun auch unter den Arbeiterinnen lebendig; im Jahre 1893 berief ich denn eine öffentliche Frauenversammlung ein, bei welcher Genossin Dworschak, heute Genossin Popp, referierte. Die Versammlung war sehr stark besucht. Männer durften ihr nicht beiwohnen, das war von der k.k. Bezirkshauptmannschaft verboten. Es war dies die erste Frauenversammlung, welche hier tagte. Später kamen noch andere Genossinnen, 1895 Genossin Anna Boschek.
Mein sehnlichster Wunsch war erfüllt, ich stand nicht mehr allein da. Im Jahre 1894 fand ich beim Parteitag in Wien schon ein Häuflein wackerer Kampfgenossinnen. (…) 21 Jahre sind ins Land gegangen seit dem Moment, wo in der Metropole Österreichs der erste Grundstein zum Bau einer Arbeiterinnenbewegung gelegt wurde; wo die Arbeiterinnen Wiens unter der Leitung wackerer Pioniere der Arbeiterschaft einen Arbeiterinnenverein gründeten, als ein Zufluchtsort, an dem die enterbten Proletarierinnen Wiens sich ihrer Klassenlage bewusst werden sollten. 20 Jahre sind es her, dass die ‚Arbeiterinnen-Zeitung‘ als junge Kämpferin auf den Plan getreten ist, um die Interessen des weiblichen Proletariats zu verfechten, um allerorts Bildung zu säen, Wissen zu pflanzen und das Klassenbewusstsein in die weitesten Kreise zu tragen. Langsam und sicher, aber mit zäher Ausdauer wurde gearbeitet, bis der Bann gebrochen war.
Seit einigen Jahren sind in ganz Österreich Frauenorganisationen emporgewachsen, die Arbeiterinnenpresse hat sich zu nie geahnter Höhe emporgeschwungen, so dass sie sich ihres Daseins nicht zu schämen braucht. Das Frauenreichskomitee schafft rastlos, die Mitglieder der Landesagitationskomitees schmieden Glied an Glied an die Kette der Arbeiterinnenbewegung und all denen zum Trotz, die die Frau in der alten Botmäßigkeit erhalten wollen, sei es gesagt, dass ich als Mitglied des Landesagitationskomitees von Böhmen eine große Zahl Frauenorganisationen geschaffen habe und noch weitere zustande bringen werde. Und mögen auch noch Jahre vergehen, auch für uns wird der Tag kommen, wo wir als dem Manne gleichberechtigt, als vollwertige Staatsbürgerinnen Österreichs mit dem Stimmzettel in der Hand zur Wahlurne gehen werden.“
Quelle
zit. aus: Anna Altmann: Blätter und Blüten. In: Gedenkbuch 20 Jahre Arbeiterinnenbewegung, im Auftrag des Frauenreichskomitees herausgegeben von Adelheid Popp. Wien 1912, S. 23-34
Link zur Lebensgeschichte Anna Altmanns
Ariadne – Österreichische Nationalbibliothek