Broschüre "Familienrechtsreform konkret", 3. Auflage, Wien, BM f. Justiz 1975

Familienrechtsreform der 70er Jahre

Die mit 1.1.1976 reformierten §§91 und 92 des ABGB stammten noch aus dem Jahr 1811 und lauteten

§ 91
Der Mann ist das Haupt der Familie. In dieser Eigenschaft steht ihm vorzüglich das Recht zu, das Hauswesen zu leiten; es liegt ihm aber auch die Verbindlichkeit ob, der Ehegattin nach seinem Vermögen den anständigen Unterhalt zu verschaffen, und sie in allen Vorfällen zu vertreten.

§ 92
Die Gattin erhält den Namen des Mannes, und genießt die Rechte seines Standes. Sie ist verbunden, dem Manne in seinen Wohnsitz zu folgen, in der Haushaltung und Erwerbung nach Kräften beyzustehen, und so weit es die häusliche Ordnung erfordert, die von ihm getroffenen Maßregeln sowohl selbst zu befolgen, als befolgen zu machen.

1925: Sozialdemokratische Frauen fordern Familienrechtsreform 

Bereits 1925 hatten die sozialdemokratischen Abgeordneten Adelheid Popp und Gabriele Proft einen Initiativantrag auf Reform des Familienrechtes im Sinne der „Gleichstellung der Geschlechter“ im Parlament, in dem damals Christlichsoziale und Großdeutsche gemeinsam die Mehrheit besaßen, eingebracht, der jedoch schon im Justizausschuss nicht beraten wurde.

Erst 1949 wurde diese Idee vom sozialistischen Justizminister Otto Tschadek wieder aufgegriffen, der eine Kommission bestellte, die bis 1951 „Richtlinien für eine gesetzliche Neuorientierung des Familienrechtes“ ausarbeitete, über welche jedoch im Parlament zur Zeit der großen Koalition keine Übereinstimmung erzielt werden konnte.

Erst zu Beginn der 70er Jahre war ein gesellschaftlich-politisches Klima vorhanden, in welchem ein weitreichender politischer Konsens bezüglich der erarbeiteten Richtlinien der Familienrechtskommission erreicht wurde, sodass eine Familienrechtsreform sukzessive verwirklicht werden konnte.
Diese begann 1970 mit der rechtlichen Gleichstellung der unehelichen mit den ehelichen Kindern.

Das Gesetz über die persönlichen Rechtswirkungen der Ehe, das mit 1.1.1976 in Kraft trat, gilt als „Herzstück“ der Familienrechtsreform und ersetzte die Paragraphen 91 und 92 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches aus dem Jahr 1811. Es enthält den Grundsatz, dass Mann und Frau in der Ehe gleiche Rechte und gleiche Pflichten haben. Beide haben gemeinsam für den Unterhalt aufzukommen, wobei derjenige Elternteil, der den Haushalt besorgt, dadurch seine Unterhaltspflicht erfüllt. Weiters haben seit 1976 beide Eheleute das Recht, den Wohnsitz gemeinsam zu bestimmen, wobei beide Eheleute unter bestimmten Voraussetzungen auch das Recht auf einen eigenen Wohnsitz haben. Zudem bestand seit der Reform die Möglichkeit, zwischen dem Familiennamen der Frau und dem des Mannes zu wählen. Falls der Name des Mannes als Ehename angenommen wurde, hatte die Frau das Recht, ihren ursprünglichen Namen dem gemeinsamen Namen anzufügen.

1.1.1978:
Gesetz über die Neuordnung der Rechtsstellung des ehelichen Kindes

Am 1.1.1978 trat im Rahmen der Familienrechtsreform das „Gesetz über die Neuordnung der Rechtsstellung des ehelichen Kindes“ in Kraft. Dieses Gesetz beseitigte die „väterliche Gewalt“, der zufolge der Vater allein über die Rechte des minderjährigen Kindes entscheiden und das Kind nach außen vertreten durfte. An die Stelle der „väterlichen Gewalt“ traten die gleichen Rechte und Pflichten beider Elternteile.

Mitte 1978:
Gesetz über die Neuordnung des gesetzlichen Erbrechtes der Ehegatten und des gesetzlichen ehelichen Güterstandes

Mitte des Jahres 1978 trat das „Gesetz über die Neuordnung des gesetzlichen Erbrechtes der Ehegatten und des gesetzlichen ehelichen Güterstandes“ in Kraft. In Anpassung an das neue partnerschaftliche Familienrecht wurden damit Bestimmungen aufgehoben, die dem Mann das Recht zusprachen, seine Frau vor Gericht zu vertreten oder ihr Vermögen zu verwalten. In der Ehe sollte weiterhin grundsätzlich Gütertrennung bestehen; das in der Ehe erworbene Vermögen galt jedoch nicht mehr als Eigentum des Mannes, sondern es sollte im Falle einer Trennung eine Zweiteilung vorgenommen werden.

1978:
„Kleine Scheidungsreform“

Schließlich brachte die „Kleine Scheidungsreform“ (1978) die Einführung der „einverständlichen Scheidung“ und der Scheidung auch gegen den Einspruch des Ehepartners/der Ehepartnerin.

Damit war die Familienrechtsreform, die rechtlich die weitgehende Beseitigung des Patriarchats mit sich brachte, abgeschlossen. Überkommene Vorstellungen über die Geschlechterrollen waren – zumindestens auf dem Papier – beseitigt. Die Familienrechtsreform, die die freie Gestaltung der Familien gesetzlich deckte, schuf den nötigen äußeren Rahmen für partnerschaftliche Familien. Obwohl auch in Österreich ein Bewusstseinswandel begonnen hatte, entsprach und entspricht die gesellschaftliche Realität bis heute nach wie vor nicht dem partnerschaftlichen Grundsatz.


Quelle
Zach, Angelika: Zur Geschichte des österreichischen Staatssekretariates für allgemeine Frauenfragen. Wien 1991